Genauso, wie Jobs to Be Done die Denkweise über Bedürfnisse ("zu erledigende Aufgaben") und Käufe ("Beauftragungen") ändert, so ändert diese Theorie auch die Art und Weise, wie wir über Märkte nachdenken können. Jahrzehntelang haben wir beigebracht bekommen, unsere potenziellen Kunden als Zielgruppe zu definieren und Märkte in möglichst homogene Segmente aufzuteilen, um diese adressierbar zu machen.
Märkte teilte man in Segmente auf, die man nach demographischen, sozioökonomischen, psychologischen Merkmalen und anderen Kriterien zerteilte; je feiner, desto besser. Auf User-Ebene wurde seit Mitte der 1990er Jahre die Verwendung von Personas populär. Diese als prototypische Durchschnittsnutzer gedachten und mit diversen Merkmalen ausgestatteten Modelle sollten Empathie erzeugen und als Basis für unsere Produktentwicklung verwendet werden. Mit dieser Vorgehensweise gibt es nur ein Problem: Egal wie viel Mühe wir uns mit der Segmentierung oder der Beschreibung der Persona geben - nichts davon sagt uns wirklich, warum die Kunden sich für bestimmte Produkte entscheiden.
Kundencharakteristiken und -merkmale sind nicht entscheidend
Clayton Christensen erklärt dies in seinem Buch Besser als der Zufall: "Jobs to be Done" – die Strategie für erfolgreiche Innovation folgendermaßen:
"Ich heiße Clayton Christensen und bin 64 Jahre alt. Ich bin 2,03 Meter groß und habe Schuhgröße 51. Meine Frau und ich haben alle unsere Kinder aufs College geschickt. Ich wohne in einem Vorort von Boston und fahre mit einem Honda-Minivan zur Arbeit. Ich habe noch viele andere Eigenschaften und Merkmale, aber diese haben mich nicht dazu veranlasst, heute das Haus zu verlassen und die New York Times zu kaufen. Es mag wohl eine Korrelation zwischen einigen dieser Eigenschaften und der Neigung von Kunden geben, die Times zu kaufen. Aber diese Merkmale veranlassen mich nicht, diese Zeitung – oder irgendein anderes Produkt – zu kaufen."
Das gigantische Segment der Nichtkonsumenten
Ein weiterer Nachteil der traditionellen Sichtweise ist, dass bei der Betrachtung des Marktes nach Segmenten der "Nichtkonsument" gar keine Beachtung findet. Um noch einmal Clayton Christensen in Besser als der Zufall zu zitieren:
"Wenn man die Jobs gründlich begreift, eröffnen sich neue Pfade des Wachstums und der Innovation, denn dadurch rücken klar abgegrenzte 'Job-basierte' Segmente in den Fokus – darunter auch Gruppen von 'Nichtkonsumenten', für die es derzeit keine akzeptable Lösung gibt. Sie entscheiden sich, lieber nichts zu beauftragen als etwas zu beauftragen, das den Job nur schlecht erledigt. Nichtkonsum birgt das Potenzial in sich, eine sehr, sehr große Chance zu bieten."
Nichtkonsumenten stellen unter Umständen sogar das größte Potenzial für eine Lösung dar. Dieses Potenzial nutzen Firmen, die mit disruptiven Innovationen Menschen neue Dinge ermöglichen und damit den mit traditionellen Lösungen bedienten Markt aufmischen.
Das Vorhandensein des Marktes von Nichtkonsumenten soll das folgende Beispiel aus Sicht des Anbieters eines Content-Management-Systems (CMS) verdeutlichen: Die gängigen CMS adressieren mit ihren Produkten Unternehmen und Verwaltungen. Es scheint aber, dass sich die Anbieter von CMS-Software wenig Gedanken über potenzielle Kunden in Privathaushalten Gedanken machen. Die steigende Zahl der Dokumente, Fotos, Videos, Audiodateien und anderer digitaler Artefakte (der Einfachheit halber "Datenvermögen" genannt) sowie der im privaten Umfeld genutzten Endgeräte macht aber das Auffinden, die Verwaltung und den Zugriff von Daten zunehmend komplizierter.
Während Unternehmen seit langem komfortable CMS nutzen, gibt es für Privatkunden immer noch keine akzeptable Lösung. Privatkunden als Nichtkonsumenten von CMS-Anbietern scheinen hier noch nicht entdeckt worden zu sein.
Ein alternativer Segmentierungsansatz
Eine Segmentierung ist dann nützlich, wenn sie die Unternehmensaktivitäten sinnvoll fokussiert bzw. eingrenzt, gleichzeitig aber auch den Blick für neue "Märkte" offen lässt. Die Segmentierung nach "Jobs" scheint hier eine besonders nützliche Alternative zu sein. Wenn wir bei unserem Beispiel der Verwaltung von Daten in Privathaushalten bleiben, dann würden wir hier die zu erledigende Aufgabe wie folgt definieren: "Private Daten nach eigenen Kriterien so organisieren, dass man sie jederzeit von überall im Blickfeld hat und damit keine Daten mehr suchen muss, um sich mehr Zeit für wichtigere Dinge zu nehmen und das Gefühl zu haben, ein Datenvermögen zu besitzen."
Diese "Flughöhe" der zu erledigenden Aufgabe ist natürlich sehr hoch, doch auch gleichzeitig ein Ansporn, diese Aufgabe für den Kunden in einer Weise zu erledigen, dass es einen Unterschied in seinem Leben macht. Ist dieser Job sehr viel anders als der Job, den Organisationen haben? Eher nicht. Jedoch würde dieses Segment nach klassischer Definition wohl nicht adressiert werden. Genauso verhält es sich mit emotionalen bzw. sozialen Jobs (wie z. B. das Erfahren von Anerkennung durch andere), die durch das Raster der traditionellen Segmentierung fallen würden.
Hier ist zur Illustration eine vereinfachte Darstellung der Segmentierung nach traditionellen Kriterien und nach Jobs:
Fazit
Klassische Segmentierungsmodelle und Personas beantworten nicht die Frage, warum Menschen so handeln wie sie es tun und warum sie Produkte beauftragen; sie sind deswegen keine optimale Grundlage, um danach Produkte zu entwickeln. Dagegen erschließt die Segmentierung nach Kunden-Jobs und die Adressierung jener mit maßgeschneiderten Produkten gewaltige neue Möglichkeiten. Diese bestehen darin, für Kunden bestimmte Aufgaben zu erledigen und ihnen damit zu helfen, Fortschritt im Leben zu machen.
Im nächsten Blog-Beitrag schauen wir uns näher an, wie wir herausfinden, mit wem wir eigentlich im Wettbewerb stehen.